Automatisiertes Fahren und KI im BetrVG

Die Law and AI Research Group organisierte am 29. Januar und 21. März 2024 einen Vortragsabend zu straf- und arbeitsrechtlichen Themen.

Forschung & Fakultät |

Die LARG hat erneut Doktorandinnen und Doktoranden die Möglichkeit gegeben, ihre Forschung vorzustellen. Ende Januar 2024 hat Enes Özcan, Doktorand bei Prof. Janique Brüning und Rechtsreferendar beim Hanseatischen Oberlandesgericht, über seine Forschung zum Thema „Automatisiertes Fahren“ gesprochen.

Im März 2024 war Lukas Diepenthal, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Clemens Höpfner, Universität Köln, an der Bucerius Law School zu Gast und hat seine Forschung zum Thema „KI im Betriebsverfassungsrecht“ präsentiert.

Die LARG ist eine Forschungsgruppe von PostDocs und Promovierenden, die zu Künstlicher Intelligenz (KI) und Recht forschen. Im Rahmen von Workshops, Seminaren und Vortragsabenden tauschen sich die Mitglieder über ihre Forschung aus.
Organisiert wurden die Vortragsabende von Dr. Sophie Burchardi und Dr. Charlotte Schindler.

 

Strafrechtliche Produkthaftung

Im Fokus der Forschung von Enes Özcan steht die Frage, inwiefern sich ein Hersteller strafbar macht, wenn das automatisierte Fahrzeug einen Unfall verursacht. Da nicht der Mensch das Fahrzeug steuert, sondern der jeweilige Autopilot, wendet sich der Blick weg vom Fahrer hin zum Hersteller. Ausgehend von den unterschiedlichen Automatisierungsstufen erklärte Enes Özcan zunächst die gesetzlichen und technischen Grundlagen. Dabei arbeitete er heraus, welche schwerwiegenden Folgen es haben kann, wenn Trainingsdaten unvollständig sind schlicht nicht ausreichend sind. Die Trainingsdaten bilden – ganz grob zusammengefasst – die Grundlage dafür, wie präzise das künstliche intelligente System im konkreten Einsatz agiert.

Im Rahmen der strafrechtlichen Produkthaftung sind vor allem zwei Merkmale besonders interessant: Wann handelt der Hersteller objektiv sorgfaltswidrig, wann liegt also ein Produktfehler vor? Außerdem: Wann ist der Erfolg, regelmäßig der Tod oder die Körperverletzung, dem Hersteller objektiv zurechenbar (sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang)?

Bei der Bestimmung von Produktfehlern zieht Enes Özcan verschiedene Abwägungskriterien heran: Sicherheitsanspruch und -versprechen des automatisierten Fahrens, Sicherheitsrisiko des automatisierten Fahrens und die Andersartigkeit der Risiken. Im Hinblick auf den Pflichtwidrigkeitszusammenhang ist insbesondere problematisch, dass das dem automatisierten Fahrzeug zugrundeliegende System – die Fahrzeug-KI – nicht vollständig „einsehbar“ ist. Vielmehr ist der konkrete Vorgang, wie im Ergebnis Entscheidungen durch das System getroffen werden, eine „Black Box“ und nicht aus sich heraus verständlich. Der Hersteller müsse deshalb jedenfalls eine Pflicht haben, das System zu updaten.

 

Mitbestimmung des Betriebsrats bei ChatGPT

Am 21. März 2024 stellte Lukas Diepenthal seine Forschung im Bereich „KI im Betriebsverfassungsrecht“ vor. Zunächst ging er darauf ein, dass im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) an verschiedenen Stellen der Begriff „Künstliche Intelligenz“ genannt sei, es jedoch an einer einheitliche Defintion fehle. Neben vielen Einzelfragen stelle sich bei dem Einsatz künstlich intelligenter Systeme insbesondere die Frage, inwiefern der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung solcher Systeme habe. Die zentrale Norm ist § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, ein Mitbestimmungsrecht.

Mit dieser Norm musste sich das Arbeitsgericht Hamburg im Januar 2024 auseinandersetzen: Ein Unternehmen erlaubte seinen Beschäftigten ohne vorherige Einbindung des Betriebsrats die Nutzung von ChatGPT. In dem konkreten Fall gab es für die Nutzung des Browers bereits eine Konzernbetriebsvereinbarung. Das Arbeitsgericht argumentierte, dass der Arbeitgeber keinen Zugriff auf die Daten habe, die der Arbeitnehmer in ChatGPT eingebe. Ein möglicher Überwachungsdruck folge nicht daraus, dass OpenAI, der Anbieter von ChatGPT, die Daten aufzeichne. Deshalb lägen die Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht vor.

Lukas Diepenthal ordnete diese Entscheidung in die bisherige Rechtsprechungslinie des BAG ein und arbeitete heraus, warum das Arbeitsgericht (zurecht) von einem fehlenden Mitbestimmungsrecht ausgegangen ist. Intensiv wurde die Frage diskutiert, wann ein Überwachungsdruck auf die Arbeitnehmer möglich ist bzw. tatsächlich ausgeübt wird und welche Auswirkungen das auf § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat.

 

Ausklang bei einem gemeinsamen Abendessen

Beide Vortragsabende klangen gemütlich bei einem gemeinsamen Abendessen aus. So verblieb Zeit und Gelegenheit, um sich über die aktuellen Forschungsvorhaben auszutauschen.

 

Text

Dr. Charlotte Schindler

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Hamburg